TEXT Jasmin Hagendorfer

LET’S TALK ABOUT SEXUELLE BEFREIUNG, INTIMITÄT, PORNOGRAPHIE UND KAPITALISMUS

 

Was bedeutet sexuelle Befreiung für dich und wo stecken wir da fest?

Sexuelle Befreiung bedeutet für mich, dass man sich von den Zwängen, Systemen und Kriterien, die von der Gesellschaft in der wir gerade leben und verhangen sind, lösen kann. Wir alle leben im Patriarchat, hier in Österreich leben wir in einem Nationalstaat - das sind schon mal Systeme, denen wir uns automatisch beugen müssen. Und wir alle leben im Kapitalismus, auch davon können wir uns jetzt mal nicht ultimativ befreien. Es wäre schön, dass anders denken zu können, aber mein Realismus sagt, dass es gerade nicht so ist. Das ist mal so das Grundgerüst - mit dem müssen wir arbeiten und leben und von dort aus unsere eigenen Wege finden. Ein relativ großes Konstrukt, das es da zu durchbrechen gilt, ist die Biopolitik. Biopolitik bedeutet, dass ein Staat immer Interesse an deinem Körper hat, an deiner Lust und an deiner sexuellen Orientierung. Das bedeutet zum Beispiel inwiefern uns rein medizinisch gesehen Zugang gegeben wird und in wie weit der Staat Interesse am menschlichen Körper per se hat, insbesondere am weiblichen Körper, weil natürlich ein großes Ziel gilt: der Nationalstaat will nicht kleiner werden. Körpern die gebären können wird daher Aufmerksamkeit geschenkt weil sie diese Fähigkeit besitzen. Die Kontrolle darüber zu haben hängt auch mit Kapitalismus zusammen. Können wir uns aus diesem großen Rahmen so leicht befreien? Das geht nur bedingt, auf der einen Seite leben wir ja auch in einem Gesundheitssystem, das auch Vorteile hat wie Vorsorgeuntersuchungen, etc. bezüglich der sexuellen Revolution, sehe ich es als schwierig uns da zu befreien. Das Grundgerüst gibt da eben einen sehr starken Rahmen vor. Ich habe in unserem feministischen Lesekreis ein sehr schönes Buch gelesen: Testojunky von Paul B. Preciado, der den Begriff der Pharmacopornographical Era prägt, in der wir heute leben. Einerseits gibt es da einen Riesenpulk an medizinischer Geschichte, der uns prägt was wir sind und welche Entscheidungen wir in diesem heteronormativen System treffen. Wie werden Codes gesetzt und zum Beispiel schon bei der Geburt festgelegt wie unsere Namen, ob wir rosa oder blaues Gewand tragen - wir sind immer umgeben von Codes, die uns in unserer Sexualität und unserem Geschlecht festlegen. Preciado sagt, dass die Medizingeschichte ein großes Interesse daran hat unsere Lust und Sexualität zu prägen um daraus dann einen Gewinn ziehen zu können und Dinge weiterverkaufen zu können.Zum Beispiel, dass Männer immer können sollen, immer bereit und horny sind, weil man ist ja der Mann bzw. Mensch mit Penis. Die Pharmacie weiß das zu nutzen, und wenn es nicht so ist wie vorgegeben, gibt es Abhilfen: Viagra, Levitra und tausend andere Spirenzelchen. Bei Preciado geht es auch darum, dass die pornographische Ebene durch Bilder vorgibt wie wir zu fühlen haben, was Lust und Sexualität bedeuten. Das Buch ist viel in meine Arbeiten eingeflossen - in “der Fudliaks - Zerfetzt die Geschlechter” kann man auch

Teile dieser theoretischen Ansätze sehen. Es ist natürlich schwierig ganzen Systemen zu entkommen, aber ich glaube, dass die Reflektion darüber wo wir uns eigentlich bewegen schonmal einen Ausweg bieten können. Ich denke man kann sich von vielen Mustern schon befreien, wenn man überlegt woher sie kommen. Ein blödes Beispiel ist: Ich mach das Pornofilmfestival jetzt seit fünf Jahren, was mir schon auch dabei geholfen hat über mich nachzudenken. Nach so zwei Jahren hab ich mich gefragt warum ich mir auf den Mainstream Porno Seiten anschaue, was ich anschaue. Ich finde das eine sehr essentielle Frage: Ist es, weil es mich wirklich geil macht? Will ich es sehen oder ist mein eigenes Pornosehverhalten erlernt? Ich habe mir einen Monat Zeit genommen um viel Porno zu schauen, auch auf den Mainstreamseiten, aber eben nicht was ich normalerweise schaue. Man sucht ja nach bestimmten Schlagwörtern, all diese Seiten sind mit künstlicher Intelligenz versehen, das heisst sie lernen sehr schnell was du sehen möchtest. Die Startseiten passen sich automatisch deinen Bedürfnissen an. Ich habe beinhart versucht mir ganz andere Dinge anzusehen, was ich eben nicht ansehen und suchen würde, habe random Begriffe eingegeben und dann da weitergeschaut in Richtungen die mich garnicht interessieren. Das persönliche Experiment hat mir viel gebracht, die ersten Wochen waren sehr hart, ich war echt frustriert und fands gar nicht toll. Ich hab schon masturbiert, aber es war unangenehm und nicht vertraut und gewohnt. Irgendwann kommt der Knackpunkt: Ok gut, das interessiert mich auch, ich sehe das nun in einem anderen Licht weil ich mich drüber traue, weil ich mich vorher geschämt hätte das anzuklicken und so. Pornographie und Sexualität haben eine sehr enge Verstrickung mit Scham. Das Experiment hat mir bewiesen, dass es etwas an Pornographie gibt, was ich sehr toll finde: es kann immer ein Möglichkeitsraum sein, es geht nicht nur um die Befriedigung der Lüste, es kann auch da sein um neue Dinge zu entdecken, sich Themen zu nähern, die ich nicht direkt so erleben will, BDSM Praktiken oder Gewalt- und Machtspielchen oder Nadeln - das sind jetzt ein paar extreme Beispiele, durch die ich mich durch Pornog-raphie annähern kann. Interessiert mich das Thema? Wie sieht das eigentlich aus? Könnte das was für mich sein? So kann ich einen Schritt in diese Richtung machen. Also da ist schon auch gut sich nicht auf den Mainstream Seiten zu bewegen, sondern anderswo. Porno kann eben Möglichkeitsraum sein. Wir in Österreich leben in einem sehr privilegierten, weiss orientierten Land. Polen ist nicht weit weg und dort werden gerade LGBTQ-freie Zonen errichtet. Sexuelle Iden-tität wird marginalisiert und eingeschränkt - dort kann Porno auch ein Möglichkeitsraum sein, das für sich fassbar machen zu können auf der Suche nach der sexuellen Ausrichtung.Wieso glaubst du dass Sexualität so fest mit Scham verbunden ist?Intimität und Sex sind mit das Tiefste was dem Menschen innewohnen. Beziehungen werden nach aussen getragen, du kannst darüber reden was gut und schlecht läuft. In jedem Schmierenblatt kann man lesen, welche Königin mit wem verheiratet ist. Die Menschen interessiert das um sich selbst abstecken zu können. Darüber kann man in Anführungsstrichen öffentlich reden, nicht überall und in jedem Raum, aber wenn es um Sexualität und Intimität geht, ist da absolut eine Grenze. Das ist so paradox. Wir leben in einer übersexualisierten Gesellschaft, jedes Magazin hat ein Seite-drei-Mädchen, in jedem Spielfilm gibt es eine Sexszene, es gibt nichts was es nicht gibt, der weibliche Körper wird in jeder Werbung sehr sexualisiert und trotzdem ist das Reden über Sex immer noch ein absolutes Tabuthema. Das ist eine Kontroverse und ein Gap, das ich absolut nicht verstehen kann. Je mehr man darüber nachdenkt, desto weniger nachvollziehbar wird das.

Das hängt mit dem zusammen, dass wir halt in einer Gesellschaft leben, die das für sich noch als Schutz sucht in diesem gesteckten Rahmen durch Medizin, Wirtschaft und Kapitalismus etc. Das wird uns als letzte schützenswerte Bastion verkauft, vor allem in Beziehungen. Diese werden immer noch sehr moralisiert und romantisiert, am besten sind Beziehungen zwischen Mann und Frau in denen Kinder ihren weiteren Ursprung finden... Die Realität schaut gottseidank ganz anders aus, nicht dass man das wem absprechen sollte, alle straight people, yeah of course, aber im Endeffekt haben Menschen in einer sehr christlich orientierten Gesellschaft sehr wenig Raum da tiefer zu gehen. Gerade diese Freiheit wäre aber sehr wichtig, sich entfalten und entwickeln zu können. Dafür sollte man sich trauen können darüber zu reden. Seit wann benutzen wir das Wort Vulva? Das ist auch noch nicht so lange her, mittlerweile gibt es gute Sachbücher für Jugendliche wo die Klitoris abgebildet ist wie sie wirklich aussieht. Es ist krass zu sehen wie das alles in unseren Alltag reinspielt, dass so wenig darüber vermittelt wird. Wie wird zum Beispiel mit HIV umgegangen - es ist immer noch ein großes Stigmata. Viele Themen werden nicht offen auf den Punkt gebracht, eben besonders da wo Staat, Gesellschaft, Politik und Wirtschaft uns klein halten.Wir müssen es also mal wieder selbst in die Hand nehmen?In den Zeiten des Internet - was auch Nachteile hat - ist der Informationsfluss im Vergleich zu meiner Jugend sehr groß. Damals gab es Sexualaufklärungsunterricht, wo auch nicht auf Lust oder Fragestellungen und Unsicherheiten eingegangen wurde. Sexu-alität bedeutet sehr viel Unterschiedliches. Ich hatte Vhs-Kasetten, Schmierenblätter und habe mit gleichaltrigen Freundinnen geredet, wie unsere Körper sind, was es bedeutet zu menstruieren etc. Heute ist das alles ein bisschen zugänglicher, Eltern trauen sich mehr darüber zu reden, da hat sich schon ein bisschen was verändert, es gibt viele coole Organisationen und Vereine, die sich mit diesen Themen beschäftigen und auch Aufklärung betreiben. Ich glaube wir müssen das Ganze relaxter sehen, genießen und mitnehmen können, was man an Sexualität erlebt und sieht. Es sollte da mehr Diskurs darüber geben, es ist gut darüber zu reden und diese Themen anzusprechen! Sex wird immer als etwas Ernstes gesehen, alle Beteiligten müssen zu einem Orgasmus kommen, als gäbe es einen Bauplan. In Wirklichkeit läuft das natürlich gar nicht so.“Digging up patriarchy”

Es gibt zum Beispiel viele Gründe aus denen Menschen masturbieren, das ist natürlich nicht nur Erregung, sondern auch Frustration, Traurigkeit und viele andere Gefühle und Gründe. Sex ist so voller Emotionen, wie wir Menschen es auch sind. Das ist ja auch so mega gut dran. Es muss nicht der eine Happy Moment sein - das ist eine gesellschaftlich konstruierte Lüge, dieses “Wir müssen glücklich sein.” Du kannst nur glücklich sein für Momente, aber du kannst nicht differenzieren glücklich zu sein, wenn du nicht weißt was es heißt unglücklich zu sein. Also das ist glaube ich ein großer Unterschied. Sexualität kann alles sein: superlustig zum Beispiel. Ich bin ein großer Fan von Humor, auch während dem Sex und auch um Scham und Tabus zu überspielen und dem einen neuen Drive geben zu können. Sex kann befreiend, bombas-tisch, unbefriedigend sein, kann mich glücklich oder wehmütig machen. I don’t know, alles ist möglich und das macht es auch so toll.Wir machen uns viele Gedanken zum Thema: was ist fairtrade Kleidung, Biobananen etc. alles ist extrem wichtig geworden, ob wir uns das leisten können oder nicht ist nochmal ein anderes Thema. Aber letztendlich ist Poronographie eine Konsumware. Genauso wie wir uns bei anderem Konsum Gedanken machen, sollten wir es hier auch machen. Warum und wann sehe ich mir was an? Wo kommt etwas her und wer produziert es?Faire und ethische Produktionen können auch Mainstream Porno betreffen, das darf man nicht zu 100% verteufeln. Es gibt sehr viel Produktionen, die fair entlohnt werden, wo die beteiligten auch wissen was damit passiert. Man muss schauen was für Arbeitsbedingungen es gibt, wie die Menschen vor und hinter der Kamera bezahlt werden, ob es einen Umgang damit gibt was mit dem Produkt passiert, wo es produziert wird, wer Zugang dazu hat. Natürlich sollte am Set über Hygiene und Verhütung gesprochen werden. Und Konsens - ein ganz wichtiges Thema generell und überhaupt. Oder wer hat welche Grenzen, was erwartet Darsteller*innen und Men-schen in der Produktion und am Set. Es gibt viele Bedingungen an denen man all das messen könnte, es gibt Produktionen die da Wert drauf legen und es gibt Raum wo man sich das auch ansehen kann. Es gibt Pornfilmfestivals wo man da reinschnuppern kann, queer-feministische Kollektive, Blogs, Magazine und Streaminganbi-eter. Hier ein paar Beispiele:lustery.compinklabel.tvblueartichokes Arthouse vienna

Das eine ist die Frage nach sexueller Befreiung und nach der eigenen Reflektion, also wer bin ich, was mach ich und was möchte ich auch auf sexueller Ebene? Ein anderes Thema ist Nachhaltigkeit / Sustainability und Sex. Auch unsere Sexualität ist eigentlich dem Kapitalismus unterlegen. Allein wenn wir darüber nachdenken, was unser Körper braucht. Hygienemaßnahmen für Menschen die menstruieren zum Beispiel, Verhütungsmethoden, die ganze Schönheitsindustrie rund um den (weiblichen) Körper - frei sind wir von diesen Themen nicht... Wenn es um Lust geht, gibt es nochmal eine riesige Industrie Sexspielzeug, Plattformen, etc. etc. - das alles ist ein Riesending und hat auch einen ökologischen Footprint. In Zeiten von Internetpornographie würden viele sagen, dass wir zumindest weniger Footprint verbrauchen als damals - was jetzt nicht ganz stimmt. Es werden zwar weniger DVDs etc. produziert und verschifft, aber auch das Internet per se läuft auf riesigen energieintensiven Servern. Ich will gar nicht erst anfangen von wem das alles verwaltet wird. Da stecken große Machtstrukturen dahinter. Mittlerweile koexisitiert beides: also physische und online Daten. Wir sollten also nicht nur unsere Sexualität reflektieren, sondern auch den Aspekt von Nachhaltigkeit miteinbeziehen. Es gibt auch viele tolle Produkte zum Beispiel Dildos aus Meeresplastik - crazy project but totally loveable - oder Menstruationstassen etc. Auch wenn es wie gesagt eine Frage von Geld und Klassen ist. Das sind jetzt viele Themen, die alle zusammenhängen, und einfach superkomplex sind. Das soll aber nicht abschrecken sondern im Gegenteil:Es gibt viele Arten und Weisen sich mit Sex und Pornographie zu beschäftigen, sich dabei selbst zu reflektieren und mit anderen auszutauschen über den eigenen Körper, Lust und Sexualität, Pornovorlieben, whatever. In dem Moment wo man sich anderen öffnet und diese Basis schafft, hat man schon einen Schritt weiter getan sich sexuell zu befreien.Wie ist das subversive Potential von Pornographie?Einerseits leben wir alle im Kapitalismus und brauchen Geld, wir alle wollen wo wohnen, würden gern was essen - das ist legitim und gut so. Wenn es unsere Hauptbeschäftigung ist Pornoproduzent*In oder Künstler*In zu sein, dann sollten wir das Recht haben davon zu leben. Das würde bedeuten, dass dafür auch gut gelohnt werden muss. Bei den meisten Plattformen ist das jetzt auch so: pay for your porn - gute Bewegung. Das schließt andere wiederrum aus, darüber muss man auch nachdenken. In dem Moment wo das alles sehr big wird, wird es kommerzieller, weil es sich ins System einbettet, weil wir Steuern dafür zahlen etc. Es gibt viele Themen in die man reingehen könnte, ob es dann wirklich noch Subversion ist - eher nein. Aber in dem Moment wo du wirklich außerhalb einer heteronormativen und heterozentristischen Sichtweise Dinge zeigst, wie queere Sexualitäten und Körper und feministische Perspektiven, eben was die allgemeine Gesellschaft nicht sehen möchte, hast du subversive Elemente. Zum Beispiel, dass auch Menschen jeden Alters gezeigt werden und andere Körperformen. Porno ist nie nicht politisch. Porno ist immer politisch. Alles was wir in Mainstream Pornos sehen, ist ein Spiegelbild der Gesellschaft, es gibt Misogynie, es gibt Sexismus, Exotizismus, Rassismus; all das sind Probleme der Gesellschaft. Es gibt den Moment wo genau diese Themen aufgebrochen werden durch neue Perspektiven, Blickwinkel und coole Inputs. Und das kann alles wirklich mega super toll, hot uns supersexy sein, ich will das jetzt nicht nur auf irgendeiner akademischen Weise sagen, es kann einfach auch hot as hell sein und dabei eben auch subversives Potential haben.Wie binden wir das in andere, schon öffentlich stattfindende Kämpfe ein?Es bleiben ja Möglichkeiten offen, Projekte die wir alle machen wollen, ob eben Ma-gazine, Pornfilmfestivals oder ich bin gerade an einem feministischen Kickstarter dran namens “Peaches und Cream”. All das hat subversives Potential in sich, eben Menschen die sich gegen Machtstrukturen und Normen auflehnen und das ist echt fucking gut so, WEIL WIR WOLLEN VULVEN, GLITZER UND RANDALE.”